Unsere alten Glocken mit neuem Klang

Zu Himmelfahrt am 19. Mai 1955 läutete unsere in den Kriegswirren in Hamburg stark beschädigte und jetzt reparierte Glocke von 1750 nach 13 Jahren Abwesenheit wieder in unserem Kirchturm. In der letzten Woche, in Ihrem 260. Lebensjahr, erhielten sie und die beiden anderen Glocken, die im Jahr 1964 aus einer großen Leihglocke aus Wiegandsthal in Schlesien umgegossen worden waren, neue Joche aus Eichenholz, die für die Stahljoche ausgetauscht wurden, und neue "weichere" Klöppel. Zugleich ist die Glocke von 1750 als größte Glocke auch in den größten Glockenstuhl umgehängt worden.

  


Durch die neue Aufhängung in den Eichenholzjochen, wobei die historische Glocke um 90 Grad gedreht wurde, den neuen Klöppeln und einer neuen Electronic der Läutemotoren wird neben einem schonenden Läuten auch ein wärmerer Klang erzielt.

All`diese Maßnahmen waren erforderlich, da hauptsächlich an der alten Glocke starke Abnutzungserscheinigungen am Schlagring und am Joch aufgetreten waren, so daß die Gefahr des Springens der Glocke bestand.  

Der Verein zur Erhaltung der St. Katharinen-Kirche zu Probsteierhagen e. V. hat diese Sanierungsmaßnahmen 
mit 4000 Euro Spendengelder
unterstützt. 

Eine Glocke erzählt aus ihrem Leben
Wenn ich heute aus meinem Leben erzähle, dann muss ich zuerst mitteilen, was mir meine ältere und große Schwester erzählt hat, die sich schon 1676 in dem schweren aus Eichenholz hergestellten Glockenstuhl befand, der wiederum im 1624 ganz aus Holz erbauten Kirchturm stand. Durch zu heftiges Läuten zersprang meine größere und ältere Schwester 1690. Ihr Klang hatte dadurch viel an Reinheit verloren. 1703 zersprang dann auch noch eine kleinere Glocke, von der ich leider nichts berichten kann, so dass nun beide Glocken umgegossen werden mussten. Es entstanden eine kleinere und eine große Glocke. Im Sommer 1750 zersprang die kleinere von beiden beim Morgenläuten und aus diesem Metall wurde ich gegossen. Ein Hufner aus unserem Kirchspiel brachte die zersprungene Glocke mit seinem Pferdefuhrwerk nach Lübeck, wo ich vom Glockengießer Laurentz Strahlborn gegossen wurde. Als im August 1750 die Gesellen des Glockengießers die Lehmform zerschlugen und mich von Schmutz und Staub befreiten, erblickte ich das Licht der Welt. Jetzt glänzte ich bronzefarben in der Sonne und stolz brachte mich das gleiche Fuhrwerk wie auf dem Hinweg wieder nach Probsteierhagen. Auf meiner Außenhaut glänzten Blatt- und Zierranken mit Weintrauben, sowie die Namen meines Glockengießers, der Priorin und des Probstes des Preetzer Klosters. Viel lieber hätte ich alle Namen der zur Kirche eingepfarrten Personen verewigt gesehen. Sie haben nämlich die gesamte Summe, die für mich bezahlt werden musste, durch eine festgesetzte Kopfsteuer aufbringen müssen. Einen eigenen Namen bekam ich leider nicht.

Mein erster Tag im hölzernen Glockenturm war sehr anstrengend. Sechs Stunden mit einer jeweiligen Unterbrechung von 15 Minuten musste ich läuten, da meine Tauglichkeit auch unter Dauerbelastung geprüft werden sollte! Nachdem ich diesen Test bestanden hatte, rief ich nun gemeinsam mit meiner 1703 gegossenen großen Schwester, die mit ihrem Gewicht von 1980 kg immerhin doppelt soviel wog wie ich, und mit meiner alten kleinen Schwester von nur 21 kg alle Gläubigen zum Gebet und zum Gottesdienst.

Schon zwei Jahre später, am 13. Dezember 1752 brach bei stürmischem Wetter kurz nach Eintreten der Dämmerung ein furchtbares Feuer aus. Von 14 Häusern blieben nur 5 Häuser, die Kirche, die Organistenwohnung und das Pastorat verschont. Zwei alte bettlägerige Frauen fanden leider den Tod.

1757 traf ein folgenschweres Unglück direkt den Kirchturm, mein Zuhause. Bei einem starken Gewitter schlug der Blitz ein, und der Turm wurde stark beschädigt. Ein kurz aufflammender Brand konnte zum Glück schnell gelöscht werden. Brandspuren sind noch heute an einem Balken des Glockenstuhles erkennbar. Nur eine kostspielige Abstützung rettete den Turm vor dem Umfallen.

Noch 30 Jahre widerstand der Turm trotz starker Schieflage allen Unwettern. 1787 war dann der Turm so baufällig, dass er laut Gutachten des Landesbaumeisters J. A. Richter abgerissen werden musste. Nach einer kurzen Bauzeit zogen wir 3 Glocken in unser neues Zuhause, den aus Backsteinen gemauerten Turm, ein. Nur unser alter Glockenstuhl von 1624 blieb uns erhalten.

Wieder gingen die Jahre ins Land, ohne dass es Aufregendes zu erzählen gibt.

1794 dann das nächste Unheil. Meine große Schwester zersprang beim Läuten und der Glockengießer B. J. Beseler aus Rendsburg goss am 31. Oktober des gleichen Jahres aus ihrem Metall eine neue gleichgroße Glocke. Wiederum wurden die Kosten allen eingepfarrten Personen auferlegt.Jetzt hatte ich wieder eine jüngere Schwester, zwar ohne Verzierungen und Inschriften, aber mit wunderschönem Klang

. In Erinnerung ist mir das Jahr 1811 geblieben, als eine fürchterliche Ruhrepidemie durch die Probstei zog. 174 Personen mussten wir in diesem Jahr mit unserem Geläut zum Grab begleiten.

Aber auch die neue große Glocke zersprang mit nur 98 Jahren beim Morgenläuten im Jahr 1892. Der Glockengießer Carl Friedrich Ullrich aus Apolda goss aus ihrem Metall eine neue gleich große Glocke mit der Inschrift: „ Friede sei ihr stet’ Geläute“. Wie trügerisch diese Inschrift war, sollte sich leider bald herausstellen. Ab 1914 erschütterte der 1. Weltkrieg ganz Europa und aus Berlin kam der Befehl, dass alle Bronzeglocken, die keinen historischen Wert hatten, abgeliefert werden müssten. Der Kirchenvorstand beugte sich dem Befehl, aber der Provinzialkonservator erhob am 14. September 1915 Einspruch und wollte damit zumindest mich als historisch wertvollere Glocke retten. Aber alles Hoffen war vergebens. Am 19. März 1917 kam der Befehl, dass beide Glocken „mit Beschlag belegt“ sind. Am 18. Juli 1917 haben wir dann noch einmal um 10.00 Uhr zum Andenken unserer gefallenen Soldaten für eine halbe Stunde geläutet. Am 19. Juli 1917 wurden wir aus dem Turm herabgelassen und am 21. Juli 1917 wurde meine größere jüngere Schwester abtransportiert. Für mich gab es einen Aufschub, da nochmals Einspruch erhoben wurde, aber auch dieser wurde verworfen. Meine Abschiedsstunde kam kurz vor Kriegsende am 25. September 1918. Wie durch ein Wunder hatte ich den Krieg in Hamburg unbeschädigt überlebt. Als ich aufgefunden wurde, bezahlte die Kirchengemeinde den Metallwert zurück, den sie 1918 für mich erhalten hatte. Am 20. August wurde ich heimgeholt und an alter Stätte wieder eingehängt. Meine große Schwester aber blieb verloren. Sie ist genau wie 172 kg Zinn von unseren Orgelpfeifen ein Opfer des Krieges geworden. Jetzt rief ich mit meiner kleinen Schwester, die wegen ihres geringen Gewichtes von 21 kg nicht unter das Abgabegesetz gefallen war, wieder gemeinsam zum Gottesdienst.

Aber das nächste Unheil braute sich schon wieder zusammen. Der 2. Weltkrieg begann und wir durften nur noch eingeschränkt läuten. Als dann im Mai 1940 der Befehl über die Beschlagnahme der Glocken in Kraft trat, befürchtete ich das Schlimmste. Im Mai 1942 trat es dann ein. Ich wurde nach einem Abschiedsgottesdienst abgeholt. Doch mein Schutzengel ließ mich wieder nicht im Stich. So überstand ich die furchtbaren Bombenangriffe 1942-1943 im Glockensammellager im Freihafen von Hamburg, sah aber die Stadt im Inferno untergehen. Der Krieg ging zu Ende und ich hatte, wenn auch stark beschädigt, überlebt!

Im März 1947 fand man mich wieder. Da ich auf Grund eines langen Risses nicht zu läuten war, übergab mich der Probsteierhagener Kirchenvorstand als Dauerleihgabe dem Landesmuseum in Schleswig. Dort traf ich 1949 ein. An meiner alten Stelle läutete ab 1951 eine Leihglocke aus Wiegandsthal in Schlesien, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatte wie ich. Aber auch in Schleswig fand meine Irrfahrt noch kein Ende. 1952 wollte mich das Landesmuseum aus Platzgründen einschmelzen lassen. Zuvor wurde jedoch dem Kirchvorstand von Probsteierhagen mitgeteilt, dass eine Firma in Nördlingen eine neue Technik entwickelt hatte, um einen Riss in einer Glocke zu schweißen. Und obwohl nach Kriegsende sicherlich andere Sorgen den Kirchenvorstand quälten, wollte sich dieser nicht endgültig von mir trennen. So ging ich wieder auf Reisen. Dieses Mal nach Bayern, wo ich auch wieder vollständig hergestellt werden konnte. 1953 traf ich mit der Bahn wieder in Schönberg ein. Mit einem Kranz aus Eichenlaub geschmückt, wurde ich nach Hause gebracht und. vorerst im Turmraum abgestellt In den letzten Jahren hatte sich herausgestellt, dass die Glocke aus Wiegandsthal durch unsachgemäßen Transport während des Krieges stark beschädigt worden war und mit mir zusammen nicht geläutet werden konnte.

Am Himmelfahrtstag 1955 war es dann aber endlich soweit. Ich durfte zurück in meinen Glockenstuhl, in dem ich mich seit 1750 so wohl gefühlt hatte. Die Leihglocke aus Wiegandsthal, die mich einige Jahre so gut vertreten hatte, blieb uns aber auch erhalten. Aus ihr entstanden 1964 zwei neue Glocken, die durch die Firma Bachert in Karlsruhe gegossen wurden. Jetzt hängen wir also wieder zu Dritt im Kirchturm.

Nach einem ereignisreichen Leben bin ich jetzt 260 Jahre alt. Nachdem einige Jahre vor dem 2. Weltkrieg ein elektrischer Antrieb zum Läuten eingebaut wurde, bekomme ich nur noch selten Besuch. Hin und wieder huscht eine arme Kirchenmaus über das Gebälk oder eine Fledermaus umkreist mich lautlos auf der Suche nach Insekten.  

Sollten Sie mich einmal besuchen wollen, würde ich mich freuen. Rufen Sie doch dann bitte zwecks Terminabsprache im Kirchenbüro unter der Telefonnummer 04348-91133 oder beim Unterzeichner, der meinen Lebenslauf für Sie aufgeschrieben hat, unter der Telefonnummer 04348-1239 an.

Horst Perry